02/07/2024 0 Kommentare
"Rassismus ist unser aller Problem"
"Rassismus ist unser aller Problem"
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"Rassismus ist unser aller Problem"
Rassismus im Alltag? Damit sind wir alle im Alltag wohl schon konfrontiert gewesen. Bei uns selbst, bei anderen, in Beobachtungen, offen, unterschwellig, versteckt, aus Unsicherheit heraus? Unter der Überschrift „(T)Raum für alle“ hatte der Kirchenkreis Dithmarschen zu einer Info- und Diskussionsveranstaltung zum Thema Alltagsrassismus in das BBZ Heide eingeladen.
In seiner Begrüßung hob Pastor Heiner Wedemeyer (Ökumenische Arbeitsstelle des Kirchenkreises) hervor, „dass wir uns in Zeiten, in denen die Stimmung im Land spürbar ruppiger wird, für eine Zukunft einsetzen, in der ein gutes Miteinander in aller Verschiedenheit möglich ist“. In den unterschiedlichen Arbeitsbereichen beobachte man „besorgniserregende Entwicklungen: einen zunehmenden Verlust des sozialen Zusammenhalts, den Rückgang von Respekt und Toleranz, fehlenden Willen zum Diskurs sowie eine Zunahme von Anfeindungen gegenüber Menschen, die anders sind“. Und: „Wir haben in Deutschland eine Migrationsdebatte zurück. Viele migrantische Menschen fragen sich inzwischen, wie lange sie es hier noch aushalten.“ Rassismus spiele dabei eine immer größere Rolle – „Rassismus trennt, Rassismus verhindert Begegnung!“. Es gelte, nachhaltige Allianzen und Strukturen aufzubauen, die „alle mitnehmen bei der Unterstützung von Betroffenen und im Einsatz gegen Rassismus und Hass“.
Inas Efara stellte anschließend das von ihr geleitete Projekt „Respekt Coaches“ am BBZ Heide vor. Das Projekt sei ein Angebot für Extremismusprävention und berücksichtige unterschiedliche Lebensweisen und Lebensanschauungen und fördere ein respektvolles Miteinander: „Wir positionieren uns ganz klar gegen Extremismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit.“ Rassismus sei kein Randphänomen, betonte Efara. Sie könne nicht nachvollziehen, „dass viele Menschen so krass in Schubladen denken“. Von Rassismus betroffene Menschen würden teilweise ein Leben lang darunter leiden – „und das nur, weil sie nicht deutsch sind“. Wer sich rassistisch verhalte, dem sei ein Perspektivwechsel zu empfehlen, um zu erfahren, „wie grausam solche Erfahrungen im Alltag sein können“. Auch sie selbst habe diese Erfahrungen gemacht, sei beispielsweise als „Scheiß Ausländerin“ beschimpft worden. Dabei müsse es darum gehen, dass jeder Mensch als Mensch respektiert werde.
Dass „Rassismus unser aller Problem ist“, stellte Pastorin Daniela Konrädi fest, die als Referentin für Rassismuskritische Bildungsarbeit am Zentrum für Mission und Ökumene in Breklum tätig ist. „Wenn ich täglich mehrfach gefragt werde, woher ich komme, macht das deutlich, dass es nicht sehr viele Menschen gibt, die sich vorstellen können, dass Deutschland diverser wird“, so Konrädi. Als „person of colour“ lerne man schnell, „dass es keinen rassismusfreien Raum gibt“. Rassismus sei unser aller Problem und Betroffene würden eine stetige Retraumatisierung erleben. Die Vorstellung, „dass Menschen unterschiedlich wertvoll sind, gibt es immer noch“. Rassismus sein ein Querschnittsthema und „persons of colour“ müssten stets mit Anfeindungen oder gar Angriffen rechnen. Dabei würde es schon sehr helfen, wenn jede und jeder die eigene Sprache und die eigenen Denkmuster überprüfen und ändern würden, dies bedürfe einer Sensibilisierung und der Anerkennung der Macht der Sprache. Denn eines sei klar, so Konrädi: „Unsere Zukunft in Deutschland wird bestimmt sein davon, dass Menschen aller Herkunft und aller Hautfarben in Deutschland leben, und wir alle sind Deutschland!“
Kreispräsidentin Ute Borwieck-Dethlefs sagte, angesichts dieser Erfahrungsberichte komme man ins Nachdenken, und die Einstellung der finanziellen Förderung für die „Respekt Coaches“ sei erschreckend – „das ist das falscheste Signal, dass es hier überhaupt geben kann“. Auch Propst Dr. Andreas Crystall kritisierte dies, „gerade angesichts der AfD-Zuwächse bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen insbesondere bei der jüngeren Generation“. Man müsse das Thema nicht nur bei solchen Veranstaltungen ansprechen, sondern damit in die Breite geben, auch schon in Kitas und Schulen.
Die Wurzeln von Rassismus liegen laut Daniela Konrädi nicht in der Nazizeit, „da müssen wir viel weiter zurückgehen, mindestens in die Zeit der Aufklärung, und wir müssen uns auch mit Kant und Hegel auseinandersetzen, denn durch sie entstand das System der Hierarchisierung von Menschen“. So seien schon vor Jahrhunderten Menschen vor allem aufgrund ihrer Hautfarbe diskriminiert worden, dies habe bis heute überdauert. Je dunkler ein Mensch sei, desto eher sage jemand, er habe Angst vor ihm, wechsele die Straßenseite oder halte seine Tasche fest. „Diese Gedanken sind nicht in oder durch die Nazizeit entstanden, denn uns wurde schon viel früher beigebracht, dass weiße Menschen die besseren Menschen sind“, so Konrädi. Auch für die Kirche selbst gelte es, hier genau hinzuschauen und Vergangenheit aufzuarbeiten: „Gerade Christen meinen, dass sie keine Rassisten sind, weil sie Christ sind. Dabei sind Kolonialisierung und Missionierung Hand in Hand gegangen, ist nicht nur Glauben transportiert worden, sondern sind auch andere Kulturen und Lebensweisen ausgelöscht worden“.
Deshalb bedürfe es heute vor allem des Bewusstseins bei den Menschen, dass es ein Privileg sie, weiß zu sein und in Europa zu leben. „Der Systemwechsel muss in mir passieren. Veränderung funktioniert nur, indem wir people of colour ernst nehmen und ihnen Platz in unserer Mitte einräumen!“
Eine Besucherin der Veranstaltung fragte, ob die „Ausbeutung des Planeten und die Klimakatastrophe nur möglich geworden seien, weil die Menschen, die im Globalen Süden leben, uns egal sind?“ Konrädi antwortete darauf, der Klimawandel sei verursacht von den Industrienationen – denselben Nationen also, die vor Jahrhunderten von der Kolonialisierung profitiert hätten und es noch heute tun. Daher: „Rassismus führt zu globaler Ungerechtigkeit.“
Inas Efara wünschte sich in ihrem Schlusswort, „dass es uns allen gelingt, zusammenzuwachsen und uns zusammen zu entwickeln, dann gelingt auch Zukunft!“
Veranstalter waren die Migrationsberatung im Diakonischen Werk Dithmarschen, das Ev. Frauenwerk im Kirchenkreis Dithmarschen, die Ökumenische Arbeitsstelle des Kirchenkreises Dithmarschen und der Flüchtlingsbeauftragter des Kirchenkreises Dithmarschen.
Wenn Sie diesen Abend verpasst haben, können Sie die Sendung im Offenen Kanal Westküste, der den Dialog technisch begleitet hat, nachhören (Frequenz 105,2 oder auf www.livestream.okwk.de):
Sendetermin: Do, 19. Oktober, ab 16 Uhr
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