02/07/2024 0 Kommentare
„Mit Gott gegen Hitler“
„Mit Gott gegen Hitler“
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„Mit Gott gegen Hitler“
Vor fast genau 75 Jahren, am 9. April 1945, wurde der Theologe Dietrich Bonhoeffer von Nazis im Konzentrationslager Flossenbürg ermordet. „Mit Gott gegen Hitler - Bonhoeffer und der christliche Widerstand“ lautet der Titel eines Doku-Dramas, das am kommenden Montag (4. Mai, 23.15 Uhr) in der ARD ausgestrahlt wird. Es erzählt die Geschichte von Bonhoeffer und weiteren Menschen, die gegen Hitler gekämpft haben, weil sie Christen waren. Darunter auch Hans Asmussen – zwischen 1925 und 1932 Pastor in Albersdorf.
„Lange, bevor der Dreh beginnen konnte, führte unsere Suche durch Bibliotheken und Archive: Erhalten gebliebene Dokumente, Fotos, Filmaufnahmen, Fernsehproduktionen früherer Jahrzehnte und andere Mosaiksteine wurden gesiebt“, sagt Regisseur Ingo Helm über die Recherchen des Teams: „Im günstigsten Fall findet man dabei mehr, als man sucht. Zum Beispiel die Episode von dem Dithmarscher Pfarrer, der einen Brief schreibt, in dem sinngemäß steht: ‚Sehr geehrter Herr Hitler, die Schweinereien Ihrer Anhänger sind durch nichts zu rechtfertigen.‘“
Tatsächlich hatte der 1898 in Flensburg geborene Asmussen bereits 1929 erste Zusammenstöße mit den Nationalsozialisten aus Dithmarschen. In der „Blutnacht von Wöhrden“ am 7. März 1929 waren zwei SA-Männer bei einer Straßenschlacht getötet worden. Zur Beerdigung des getöteten Otto Streibel aus Röst reiste Adolf Hitler persönlich nach Albersdorf an, rund 5000 Menschen nahmen an der Trauerfeier teil. Hitler erklärte die getöteten SA-Männer bekanntlich zu christlichen Märtyrern – die Albersdorfer Pastoren protestierten gegen diese pseudoreligiöse Überhöhung der „Märtyrer der Bewegung“. Ob Asmussen damals bereits an Hitler geschrieben hat, wie bislang vermutet wurde, ist allerdings fraglich.
Der in Albersdorf geborene Filmproduzent Thorsten Neumann (Eikon Nord, Hamburg) hat bei seinen Recherchen Briefe Asmussens an Hitler aus Juni und Oktober 1931 gefunden und ausgewertet, die nicht auf vorherige Briefwechsel schließen lassen. Hans Asmussen beschwerte sich in den genannten Schreiben massiv über die Machenschaften der Braunhemden in Albersdorf, beispielsweise über das Aufstellen eines Gedenksteins für eine verstorbene regionale Nazi-Größe mit 600 Teilnehmern und einer Musikkapelle der SA, ausgerechnet zu Gottesdienstzeiten. Und es ging darum, dass auf Asmussen Druck ausgeübt wurde, damit er nicht aus dem Alten Testament predigt, „kam ja von den Juden“, so Neumann.
Asmussen hatte offenbar anfänglich noch die Hoffnung, der NSDAP-Führer könne auf die lokalen Agitatoren einwirken. So äußerte der Pastor in seinem Brief vom 18. Juni 1931 das „Vertrauen, dass Sie einem offenen Wort nicht unzugänglich sind“. Die Parteileitung müsse „sehr wunderlich über hiesige Verhältnisse unterrichtet sein“. Nicht umsonst würden sich „die besten und ruhigsten Elemente immer mehr zurückziehen“. Wenige Monate später, am 12. Oktober 1931, war der Ton bereits ein anderer. Der Theologe schilderte Hitler massive Störungen des Gottesdienstes, die Instrumentalisierung des Friedhofs und Drohungen gegenüber den Pastoren. Und: „Wenn die Sache jetzt schon auf einen Kampf mit der Kirche hinausgespielt wird, dann werden nicht die schlechtesten Gemeindeglieder Ihnen die Gefolgschaft versagen.“
Der Theologe Dr. Enno Konukiewitz beschreibt die Auseinandersetzung mit völkischen und nationalsozialistischen Agitatoren in seiner Dissertation „Hans Asmussen. Ein lutherischer Theologe im Kirchenkampf“ folgendermaßen: „Asmussen wich dem Dialog mit ihnen nicht aus, sondern bemühte sich, die Spannung von völkischen Belangen und kirchlich-theologischen Notwendigkeiten als unumgänglich überzeugend nachzuweisen. Dem großen Wert, den völkische Redner der Deutschblütigkeit beimaßen, setzte er die vom Evangelium eingeschärfte Unwertigkeit des Menschen vor Gott entgegen.“ Allerdings: Asmussens Engagement verhinderte nicht, dass Albersdorf ein regionales Zentrum des Nationalsozialismus‘ wurde. Auch die kirchliche Jugendarbeit, von Asmussen mit großem Einsatz aufgebaut, brach zusammen. Offenbar zermürbt bewarb er sich 1932 auf eine Pfarrstelle im „roten Altona“, die er im Mai antrat.
Nur wenige Monate später, am 17. Juli 1932, schockierte der „Altonaer Blutsonntag“ Asmussens neue Gemeinde: Bei einem Marsch der SA kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen 18 Menschen ihr Leben ließen. Wenige Tage später gab es in der Kirchengemeinde einen „Notgottesdienst“, in dem durch Bibellesung und Gesang zur Buße aufgerufen wurde, und unter Asmussens Leitung wurde das „Wort und Bekenntnis Altonaer Pastoren in der Not und Verwirrung des öffentlichen Lebens“, kurz „Altonaer Bekenntnis“, entwickelt. „Ein für die Geschichte der evangelischen Kirche in der NS-Zeit zentrales Dokument“, wie der Historiker Stephan Linck in „Neue Anfänge?“ (Lutherische Verlagsgesellschaft) schreibt. Es richtete sich gegen jeglichen politischen Extremismus und gilt bis heute als das erste wichtige Dokument des kirchlichen Widerstandes. Das „Altonaer Bekenntnis“ war zugleich der Auftakt für die größte Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche einer Gleichschaltung – die Bekennende Kirche. Gauleiter Hinrich Lohse und andere Nazigrößen tobten. „Es folgten die erzwungene Distanzierung der meisten Verfasser“, schreibt Linck, „die Amtsenthebung von Propst Sieveking und der Pastoren Hans Asmussen und Wilhelm Knuth.“ Asmussen zog nach Berlin und übernahm andere Aufgaben, arbeitete unter anderem mit an der Theologischen Erklärung der Bekenntnissynode in Barmen (1934) - er schuf damit eine zentrale theologische Äußerung der Bekennenden Kirche unter der nationalsozialistischen Herrschaft. 1939 wurde gegen ihn ein reichsweites Rede- und Predigtverbot verhängt.
Nur wenige Pastoren in Dithmarschen widersetzten sich offen den Nationalsozialisten. So Friedrich Slotty in St. Michaelisdonn, der den Treueid auf Hitler verweigerte und bereits 1934 den Nationalsozialismus als Irrlehre bezeichnet hatte. Klaus Horn holte 2002 als Süderdithmarscher Propst die Ausstellung mit dem Thema „Kirche, Christen, Juden - Nordelbien 1933 - 1945“ nach Meldorf - in deren Rahmen auch die Schicksale einiger Dithmarscher Pastoren geschildert wurde. „Den Konfirmanden muss Slotty Kritisches über die Behandlung der Juden in Deutschland gesagt haben“, so Horn. „Die Gestapo sorgte dafür, dass auch die Aussagen der Konfirmanden Anlass für einen Prozess vor einem Sondergericht in Kiel wurden. Eine willfährige Kirchenleitung enthob ihn im April 1939 seines Amtes. 1947 wurde Pastor Slotty wieder rehabilitiert durch die Landeskirche. Er starb 1953 in Lunden.“
In Süderhastedt lehnte sich Pastor Ewald Dittmann auf. „Es gab häufig Gelegenheit, dass seine aufrechte Haltung ihn zur Gestapo nach Meldorf brachte (in der heutigen Stadtbücherei gegenüber dem damaligen Propstenhaus)“, so Horn. „Kurz vor Kriegsende fanden Regimetreue die Gelegenheit, ihm eine Begebenheit missgünstig auszulegen. Dittmann wurde in ein 'Arbeitserziehungslager' nach Kiel-Hassee gebracht. Der Staatsanwalt riet dem Landeskirchenamt, gegen Dittmann disziplinarisch vorzugehen. Dazu kam es nicht mehr. Dittmann wurde später in einem Massengrab gefunden.“
Zu den aufrechten Christen in der NS-Zeit gehören auch Pastor Karl Walter Manitius an der St. Jürgen Kirche in Heide und Pastor Schmittpott an St. Katharinen in Nordhastedt. Auch Schmittpott verweigerte Hitler den Loyalitätseid, „er wurde wegen seiner Verweigerungshaltung als Soldat eingezogen“, so Klaus Horn. Von Pastor Manitius wird berichtet, dass seine Predigten von Linientreuen mitstenografiert worden seien. „Weil er häufig sehr schnell sprach, soll er manchmal eine Pause eingelegt und gefragt haben: 'Spreche ich auch nicht zu schnell, damit die Herren im Regenmantel in der letzten Reihe mitschreiben können?'“
Manches aus jener Zeit findet sich noch im Archiv des Kirchenkreises. An der Akte Slotty sei zu erkennen, dass der damalige Meldorfer Propst Johann Martin Bünz seelsorgerisch an den Pastoren zu handeln versuchte, die durch Denunziation aus der Gemeinde in das Netz der Gestapo geraten waren, sagt Klaus Horn. „Propst Bünz selbst, der 1933 Anhänger der Deutschen Christen war, ging wegen der zunehmenden Kirchenfeindlichkeit und des Antisemitismus des Nationalsozialismus immer mehr auf Distanz. Er muss hin- und hergerissen gewesen sein zwischen einer eher konservativen Kirchenmitgliedschaft und einer Pastorenschaft, bei der Skepsis und Ablehnung gegenüber der NSDAP überwogen.“
Weithin bekannt ist heute nur noch der einstige Albersdorfer Pastor Hans Asmussen. Filmproduzent Thorsten Neumann: „Er hat die Barmer Erklärung mitverfasst, hatte Predigtverbot. Gemeinsam mit Martin Niemöller und Otto Dibelius formulierte er 1945 die Stuttgarter Schulderklärung.“ Mit ihr gestand die neu gegründete Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) eine Mitschuld evangelischer Christen an den Verbrechen der Nazis.
Bis heute gibt es Menschen in Albersdorf, die sich an den widerständigen Pastor erinnern. „Ich habe nur durch vage Erzählungen in meiner Jugend von ihm gehört“, sagt Thorsten Neumann. In der Dokumentation „Mit Gott gegen Hitler“ ist Pastor Hans Asmussen einer von vielen Protagonisten der Geschichte. „Für Albersdorf und Dithmarschen aber ist er eine ganz zentrale Figur. Er hätte es verdient, dass man seiner dort angemessen gedenkt, gerade heute. Er und der christliche Widerstand zeigen mir, wie wichtig es ist, eine Haltung zu haben, wenn Menschen ausgegrenzt oder unterdrückt werden.“
Aktualisiert am 26. Mai 2020
Großes Bild: Hans Asmussen mit Konfirmandinnen und Konfirmanden 1927 (Foto: Kirchenkreisarchiv)
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