Ein schwieriges Erbe

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Ein schwieriges Erbe

Was für eine Symbolkraft! Da stemmen Unbekannte 1972 nach kurzer gezielter Suche eine Säule der Neulandhalle im Dieksanderkoog (Dithmarschen) auf und entwenden die Kassette mit dem Grundstein. Da war das Gebäude eine offene Baustelle, weil die früheren Kirchenkreise Norder- und Süderdithmarschen es zu einer Jugend- und Freizeitstätte umbauten. Die neuen Eigentümer, die damals es aus der Verwaltung durch die Deich- und Hauptsielbverbände übernommen hatten, nahmen den Diebstahl gelassen, habe sich doch spätestens damit das Wesen des Gebäudes von Grund auf geändert. Der damalige Jugendpastor Klaus Jürgen Horn und heutige Propst i. R. notierte für die Chronik der Gemeinde: „Die Neulandhalle steht jetzt auf einem anderen Fundament.“

Diesen Grundstein hatte Adolf Hitler 1935 anlässlich der feierlichen Einweihung des nach ihm benannten Kooges persönlich eingemauert und dabei den rein „arischen“ Siedlern zugerufen, hier werde „Neuland des Wissens und der politischen Erkenntnis“ geschaffen. Später zur Einweihung der Neulandhalle gab es als Erstausstattung der Hausbibliothek Bücher vom Führer, von Goebbels und Göring, „28 Bestseller der nationalsozialistischen Bewegung“, wie Lars Amenda in einem Aufsatz für die „Informationen zur Schleswig-Holsteinischen Zeitgeschichte“ 2005 schreibt. Die Neulandhalle war ausdrücklich als „Anti-Kirche“ konzipiert, wurde zur Schulungsstätte der NSDAP – und zur Sonnenwende wurde vor der Halle ein großes Feuer entzündet und von der Bevölkerung der Rütli-Schwur geprochen. Obwohl in Planskizzen für den neuen Koog eine Kirche auftauchte, wurde damals der Kirchengemeinde der Vereinigten Süderdithmarscher Köge ein Stück Land verweigert.

Zehn Jahre dauerte der Nazi-Spuk. Vier Mal länger, nämlich von dem Umbau 1972 bis heute, betreute die Dithmarscher Kirche Jungscharen, Konfirmanden, Chöre, Posaunenbläser, Kindergartengruppen und Schulklassen sowie Jugendgruppen aus anderen Bundesländern. Theater- und Musikgruppen probten dort. Auch Ältere und Behinderte schöpften in den unendlichen Weiten des Dieksanderkooges neue Kraft. In Spitzenzeiten zählte die Kirche pro Jahr über 15.000 Übernachtungen, doch jetzt muss sie den Betrieb einstellen und will sich von der Immobilie trennen. Dithmarschens Propst Dr. Andreas Crystall begründet das in einer umfangreichen Stellungnahme für die Öffentlichkeit damit, dass sich die Belegungszahlen in den vergangenen zehn Jahren halbiert hätten. Längst sei durch neu gewonnenes Land der Immobilie der Strand abhanden gekommen – und mit ihm die Attraktivität der Anlage. Zudem sei die Halle zu zwei Dritteln mit Gruppen belegt gewesen, die nicht aus Dithmarschen kamen und oft keine kirchlichen Gruppen waren. Kinder- und Jugendarbeit fördere der Kirchenkreis vorrangig lieber in den Kirchengemeinden vor Ort.
Zwei Jahre sei um ein realistisches Nutzungskonzept gerungen worden, betont Crystall. Im Dezember wurde jedoch die Schließung beschlossen. Er dankt in seinem Papier ausdrücklich Propst i. R. Horn, der den vor Jahren gebildeten Trägerverein „mit Geschick und Herzblut“ geführt habe, und dem Heimleiter-Ehepaar Runge für ihren unermüdlichen Einsatz. Der Kirchenkreisvorstand habe Verständnis für alle, die in der Neulandhalle gute und prägende Zeiten erlebt haben und nun einen Verlust empfinden. „Trauer und Bedauern sind durchaus angebracht.“ Die Entscheidung, die Neulandhalle zu schließen, ruft jetzt aber Kritiker auf den Plan, die Dithmarschens Propst auffordert, „sich den Realitäten zu stellen.“ In dem vom Kirchenkreisvorstand und dem Synodenpräsidium mitgetragenen Positionspapier heißt es weiter: „Sinn und Zweck des Kirchenkreises Dithmarschen ist es nicht, die Neulandhalle im Dieksanderkoog auf ewig zu erhalten.“ Geld könne nur einmal ausgegeben oder verteilt werden, die Mittel seien dringender für Kirchenrenovierungen oder andere „Baustellen“ des Kirchenkreises benötigt. Dieses ist aus Crystalls Sicht auch das wichtigste Argument gegenüber Kritikern in der Kirchengemeinde Vereinigte Süderdithmarscher Köge vor Ort, die stets mit der Forderung hervorgetan hätten, teure Strukturen des Kirchenkreises zu veringern. Genau das geschehe doch nun mit der Schließung der Neulandhalle.

Klar bezieht Propst Dr. Crystall Position zur historischen Erblast der Immobilie. „Nicht nur an den martialischen Fresken im Innern der Neulandhalle ist dieses nationalsozialistische Programm bis heute zu erkennen, der zweifelhafte Symbolgehalt des Hauses selbst weist beständig auf seine Ursprünge. Jegliche Verharmlosung dieser ideologischen Belastung der Neulandhalle ist in unsern Augen unerträglich und unverantwortlich.“ Aber niemand könne erwarten, dass der Kirchenkreis „die ewige gesellschaftlich sichere Nutzung dieser ehemaligen Anti-Kirche garantiert, wenn die Kosten sämtliche Verhältnismäßigkeiten einer vernünftigen Nutzung übersteigen.“
Alle Möglichkeiten einer zukünftigen Nutzung durch andere wurden und werden geprüft, versichert Dr. Crystall. Auch ein Abriss müsse „nüchtern erwogen werden“. Deshalb halte der Kirchenkreis Dithmarschen engen Kontakt zur Denkmalpflegebehörde des Landes. Allerdings warnt er vor einer „isolierten Betrachtung allein der Bauarchitektur ohne die besondere ideologische Gestalt“ und warnt vor der Gefahr „einer möglicherweise unsäglichen drohenden Fremdnutzung dieser Halle – das wäre ein Versäumnis der politischen Verantwortung.“

Stellungnahme des Kirchenkreises zum Download

Neulandhalle bleibt einfaches Kulturgut
Text und Bild: Birger Bahlo

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