02/07/2024 0 Kommentare
Und nun, Frau Spoorendonk?
Und nun, Frau Spoorendonk?
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Und nun, Frau Spoorendonk?
Dithmarschen – Die Neulandhalle ist ein problematisches Erbe: Martialisch erhebt sie sich über den Dieksanderkoog. Wer um ihre Geschichte weiß, spürt deutlich die propagandistische Wirkung, die sie im Nationalsozialismus hatte. Gut durchdachte Pläne, diese Immobilie zu einem historischen Lernort umzugestalten, drohen nun zu scheitern: Das Kulturministerium unter Leitung von Anke Spoorendonk verschiebt die Realisierung auf einen ungewissen Zeitpunkt.
„Es kann nach vier langen Jahren der Konzeptentwicklung keine Perspektive für uns als derzeitiger Eigentümer sein, auf das Jahr 2018 vertröstet zu werden“, sagt dazu Propst Dr. Andreas Crystall, der den Kirchenkreis Dithmarschen als Eigentümer des Gebäudes vertritt. Der Kirchenkreis hatte auf Wunsch des Kulturministeriums beim Institut für Regional- und Zeitgeschichte IZRG eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, um das Projekt „Historischer Lernort Neulandhalle“ zu verwirklichen. Dabei würde die Neulandhalle so umgestaltet, dass sie die Verführungskraft der nationalsozialistischen Ideologie erfahrbar macht und gleichzeitig zu einer kritischen Auseinandersetzung mit ihr anleitet. Adolf Hitler selbst legte 1935 den Grundstein. Sie war reichsweites Symbol für die nationalsozialistische Ideologie von Blut und Boden und diente den neu angesiedelten Familien im Koog als Versammlungsgebäude und Ersatzkirche. Die Politik sei nun in der Verantwortung, so der Propst. „Es bleibt für das Land ein problematisches Erbstück und eine historische Verantwortung.“
Auch Gothart Magaard, Bischof im Sprengel Schleswig und Holstein, nahm die Entscheidung der Ministerin mit großem Bedauern zur Kenntnis: „Mit der Ende vergangenen Jahres unterzeichneten Sondervereinbarung mit dem Land Schleswig-Holstein möchte die Nordkirche die kulturelle Vielfalt und die Gedenkstättenarbeit in Schleswig-Holstein unterstützen – dazu gehörte das Projekt ‚Historischer Lernort Neulandhalle‘. Insbesondere der Kirchenkreis Dithmarschen hat hier viel Vorarbeit für die unserer Meinung nach gelungene Konzeption geleistet. Es ist enttäuschend, dass das Land derzeit keine Möglichkeiten einer Umsetzung sieht.“
1971 erwarben die damaligen Kirchenkreise Norder- und Süderdithmarschen das Gebäude, um es als eine Jugend- und Begegnungsstätte zu nutzen. Seit nunmehr vier Jahren steht das Haus leer. Der Kirchenkreis sorgte in dieser Zeit dafür, dass die Substanz keinen Schaden nahm und das Haus begehbar blieb. „Unsere Sicherungsbereitschaft ist endlich“, so der Propst. „Bislang hat man immer beteuert, man wolle die historische Verantwortung für dieses problematische Erbe wahrnehmen“, sagte er. Bislang war geplant, die Neulandhalle unentgeltlich der „Bürgerstiftung Gedenkstätten Schleswig-Holstein“ (BGSH) zu übereignen. Noch im Dezember 2014 hatte das Kulturministerium mit der Nordkirche einen Vertrag über die Sicherung des kulturellen Erbes und den Ausbau der Gedenkstättenarbeit unterzeichnet, in dem der „Historische Lernort Neulandhalle“ mit einer Million Euro Zuschuss der Nordkirche verankert war.
Wie es nun weitergeht, ist unklar. An eine Veräußerung in private Hand denkt der Kirchenkreis nach wie vor im Moment noch nicht. Die Gefahr ist zu groß, dass die Problem-Immobilie früher oder später in falsche Hände gerät und als nationalsozialistischer Wallfahrtsort dienen könnte. Auch ein Abriss ist nicht vorstellbar. „Es hat sich im Verlauf der intensiven Debatte herausgestellt, dass die Neulandhalle mit ihrem Alleinstellungsmerkmal ein großes Vermittlungspotential hat“, so Propst Dr. Andreas Crystall. „Kaum ein Ort eignet sich so gut, die fatale Verführungskraft des NS präventiv jungen Menschen nahe zu bringen. Nach dieser Debatte ist eine Spurenbeseitigung meiner Meinung nach nicht verantwortbar.“
Info: 1935 weihten Schleswig-Holsteins Nationalsozialisten ihr Prestigeprojekt, den ‚Adolf-Hitler-Koog’ (heute: Dieksanderkoog), ein – in Gegenwart von Adolf Hitler persönlich, mit viel Pomp und Rundfunkübertragung ins ganze Reich. Dabei legte Hitler auch den Grundstein für die Neulandhalle, die im neuen Musterkoog an Stelle einer üblichen Kirche errichtet wurde. Flankiert von einem hölzernen Turm mit Glocke, an der nördlichen Außenfront ‚geschützt‘ von zwei monumentalen Wächtern, Soldat und Arbeitsdienstmann, die innere Ostwand der Haupthalle verziert mit von Otto Thämer angefertigten Fresken, die Deichbau, Säemann, Ernte und Hausbau heroisierten, fungierte die Halle, wie der Kunsthistoriker Hans-Günther Andresen es ausdrückt, als „bäuerlicher Tempel der Volksgemeinschaftsideologie“, als Tagungsort und gesellschaftlicher Mittelpunkt für die nach der rassistischen NS-Ideologie ausgewählten Neusiedler des Kooges. Zuletzt wurde die Neulandhalle viele Jahrzehnte friedlich vom Kirchenkreis als Jugend- und Begegnungsstätte genutzt, die aber aus Kostengründen schließlich geschlossen werden musste.
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